Über 250.000 Menschen bewegen sich täglich im unterirdischen U-Bahn-Verkehrsknotenpunkt Stephansplatz. Viele davon – wählt man den Aufgang zum Westtor des Stephansdoms – kommen täglich auch an einem von Wiens bedeutendsten Kulturdenkmälern vorbei – der Virgilkapelle. Wie ein Juwel scheint die um 1220 errichtete Kapelle rund 12 Meter unter dem Staphansplatz in ihrer ruhigen Nische zu liegen. Auch rund 800 Jahre nach seiner Erbauung strahlt dieser Ort eine besondere Ruhe aus. Knapp zwei Jahrhunderte verschüttet – nach dem Brand der über der Kapelle errichteten Maria-Magdalena-Kapelle im September 1781 wurde der Raum mit Schutt angefüllt und geriet in Vergessenheit – wurde der Sakralraum im Zuge des Baus der U-Bahn-Linie U 1 im Jahr 1972 wiederentdeckt. Nach wie vor im Dunkeln liegt jedoch der Zweck ihrer Errichtung. Auch über die Auftraggeber sind sich die Forscher derzeit noch ungewiss. Eventuell entstand das Gebäude im Auftrag von Herzog Leopold VI., der den Ausbau der Stadt massiv vorantrieb, aber auch die Pfarre von St. Stephan sowie die Bürger der Stadt kämen infrage. Möglicherweise handelte es sich um eine Kooperation von allen drei.

http://www.wisocast.at/kulturfuechsin/virgilkapelle/index.html

Dass die Kapelle wie öfters geäußert ursprünglich als Ruhestätte für den Heiligen Koloman dienen sollte, ist nach wie vor in Frage gestellt. Gesichert ist die Verwendung der unterirdischen Anlage als privater Andachtsraum der reichen Tuchhändlerfamilie Chrannest. Ein Zwischengeschoß, das zu dieser Zeit eingezogen wurde, diente als Karner und später als Versammlungsraum der Gottsleichnamsbruderschaft, zu deren Aufgaben es ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts unter anderen zählte die Passionsspiele auszurichten. Im Spätmittelalter wurde die Kapelle erneut in zwei Teile geteilt, wovon heute noch rechteckige Vertiefungen im Mauerwerk zeugen. Ein Abgang befand sich möglicherweise in der Ostnische. Diese im Osten gelegene Einbuchtung ist die größte Nische und wie der Hauptaltar mittelalterlicher Kirchen nach Osten – in Richtung Jerusalem – ausgerichtet. Im oberen Teil der Nische ist ebenso wie in den anderen Apsiden (halbkreisförmiger Raumteil) ein rotes Radkreuz zu erkennen. Als einziges figurales Element blickt einem noch heute ein frontales Antlitz (in der Nische links der Hauptnische) ins Gesicht. Wie lange noch, das wird die Zeit weisen. Die im Erdreich enthaltenen Salze kristallisieren durch die Freilegung an der Oberfläche und bedecken Wände und Malereien. Im Zuge von Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten kann der Verfall minimiert, jedoch nicht aufgehalten werden.

Virgilkapelle
Stephansplatz (U-Bahn-Station), 1010 Wien
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und Feiertag: 10 bis 18 Uhr,
24.12. und 31.12.: 10 bis 14 Uhr
Eintritt: 4 Euro /Audioguide fratis
https://www.wienmuseum.at/de/standorte/virgilkapelle.html

Geschrieben von Sandra Schäfer